Irgendwann wurde er dadurch wach, dass es heftig an seiner Tür klopfte. Er runzelte verwirrt die Stirn, stand auf und öffnete. Vor ihm stand Meister Koris, der ihn mit einem seltsam ge¬hetzten Blick ansah und fragte: „Darf ich bitte hereinkommen, Meister Teshan?“ Teshan nickte immer noch recht verwirrt und bat Koris einen Sitz und ein Glas Wein an, welche die¬ser dankend annahm.
„Was wollt ihr hier, Meister Koris?“, fragte Teshan nach einer Weile.
„Ich muss euch ein Geständnis machen, Meister Teshan. Ich habe euch nicht die ganze Wahr¬heit über Faresh gesagt!“
„Und wie sieht die ganze Wahrheit über Faresh aus?“
„Tatsache ist, dass niemand von uns Faresh besonders gemocht hat. Wie ich ja bereits in unse¬rem ersten Gespräch sagte, waren alle neidisch auf ihn. Theoretisch hätte ihn also jeder von uns töten können. Ich hatte euch gesagt, dass Faresh bestimmte Wege gegangen ist, um seine Ziele zu erreichen. Ich bin mir sicher, dass Faresh über Leichen gegangen wäre, um an die Spitze zu kommen und an der Spitze zu bleiben und in gewisser Weise könnte man uns wohl auch als „Leichen“ ansehen, da wir praktisch „tot“ waren, als Faresh berühmt war.
Faresh hat aber niemand umgebracht. Er hat nur ziemlich stark geschummelt was die Erledi¬gung seiner Aufgaben betraf. Er war sich einfach zu fein und zu faul dies alles zu machen! Er hat andere dazu gezwungen diese Dinge für ihn zu erledigen und wenn sie es nicht getan ha¬ben, konnte er schon mal gewalttätig werden. Großmeister Sirren hat davon nie etwas mitbe¬kommen, da alle geschwiegen haben. Faresh hatte eine ziemlich wirkungsvolle Art die Leute zum Schweigen zu bringen.
Wie furchtbar Faresh als Familienmensch war, hat euch ja sicher Nemiya gesagt. Als Kollege war er genauso furchtbar. Niemand hatte Platz neben ihm, er wollte die Bühne für sich allein und er glaubte das größte Genie überhaupt zu sein. Er ging sogar so weit zu behaupten, dass die Genialität seiner Werke mit der Genialität der Werke der größten Schreiber zu vergleichen sei. Er wirkte teilweise, als würde er sich für einen Gott halten!
Faresh war überhaupt nicht freundlich! Er war überheblich, hochnäsig, angeberisch, selbst¬verliebt, egoistisch und bösartig. Und was sein Genie betrifft, hat er auch teilweise geschum¬melt! Er hat Kompositionen von anderen Musikern geklaut und sie dann als die seinen ausge¬geben. Wer versucht hat, ihn daran zu hindern bekam mächtig Ärger.
Irgendwann haben wir dann resigniert aufgegeben. Wir ließen Faresh seinen Willen, aber in¬nerlich haben wir alle gekocht und ihm den Tod gewünscht!“
„Warum habt ihr nicht von vornherein die Wahrheit gesagt? Das hätte mir so einiges erspart! Und was spielt Jaron für eine Rolle in der Sache?“
„Wir alle haben uns gegenseitig geschützt, damit der Verdacht nicht auf einen der unseren fällt. Außerdem: Wer hätte uns geglaubt? Faresh wurde schon viel zu sehr als Held und Genie gefeiert, als das die Leute in ihrer Verblendung an unsere Reden geglaubt hätten. Sie hätten uns wahrscheinlich nicht einmal zugehört!
Jaron…er war der einzige von uns, der Faresh so offensichtlich gehasst und gegen ihn gear¬beitet hat. Er war der ideale Verbrecher. Bei ihm würde jeder, der von seinem Verhältnis zu Faresh wusste, sofort glauben dass er Faresh getötet hat. Außerdem haben wir ihn auch ge¬hasst. Also war er es auch, auf den unsere Wahl fiel, als wir den wahren Schuldigen in Schutz nehmen mussten.“
„Das heißt also jemand anders hat es getan und Faresh dann Haare von Jaron auf den Mantel gelegt, um so den Beweis zu liefern, dass er es gewesen ist?! Warum seid ihr dann trotzdem zu mir gekommen?“
„Weil mich das schlechte Gewissen plagt. Das mag verrückt für jemanden klingen, der über Fareshs Tod glücklich ist und auch nichts dagegen hat, wenn Jaron verschwindet, aber es ist so! Ich war ja auch bei der Verhandlung und ich habe die ganze Zeit gedacht: „Es ist nicht richtig!“ Ihr habt mein Gesicht nach der Verhandlung gesehen. Als Jaron schreiend abgeführt wurde, da habe ich alles bereut und als ich euch sah, habe ich sofort den Entschluss gefasst es euch zu sagen. Ich werde mich jetzt zurückziehen und für meine Taten bestrafen!“
Damit erhob er sich einfach und ging. Teshan sprang auf und rief verwirrt und schockiert: „Wartet! Heißt das etwa ihr habt-?! Was habt ihr vor?!“
Koris hörte ihm gar nicht zu, sondern beschleunigte seinen Schritt. Teshan bekam ein ganz übles Gefühl. Er setzte Koris schnell hinterher, doch als dieser merkte dass er verfolgt wurde, beschleunigte er noch einmal sein Tempo. Koris war um einiges jünger und gesünder als Tes¬han und schuf daher schnell einen beträchtlichen Abstand zwischen ihnen. Teshan lief ihm schwer atmend hinterher, während in seinem Kopf die Gedanken rasten.
Koris steuerte der Brücke vom Konzertsaal zur Bibliotheksallee entgegen. Gerade als Teshan um die Ecke bog, hatte sich Koris auf das Geländer der Brücke gesetzt und starrte Teshan mit einem irren Blick an. „Nein!“, rief Teshan und lief zu Koris hin um ihn festzuhalten, doch es war bereits zu spät! Koris ließ sich fallen und stürzte in den See. Teshan blieb wie festgena¬gelt am Geländer stehen und versuchte in der Dunkelheit zu erkennen, ob Koris überlebt hatte.
Als er keine Anzeichen mehr von ihm sah, wandte er sich schließlich vom Geländer ab und ging langsam wieder nach Hause. Auf dem ganzen Weg konnte er nur an eine Sache denken: Wie sollte er bloß noch verhindern, dass das Urteil gegen Jaron nicht vollzogen wurde? Mor¬gen würde es soweit sein und er hatte nicht mal Beweise dafür, außer dem offensichtlichen Geständnis eines Mannes, der jetzt wahrscheinlich tot war!
_________________ Nil tam difficile est, quin quaerendo investigari possiet
Hitana Mikoyan (SL) , Hitana Jadurian (GW)
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