Bei Thora im Naturreservat…
Entsetzt sah Thora auf die blutrote breite Narbe im Gesicht des Fremden, die von der linken Kopfseite über die Schläfe... das Auge und über die Wange hinunter verlief. Sie war unfähig ein Wort zu sagen und starrte auf das Wundmal, was wie ein Fanal leuchtete.
Die zusammengepressten schmalen Lippen ihres Gegenübers verzogen sich zu einem fast freundlichen Lächeln, welches aber das vernarbte Auge nicht erreichte. Seltsam starr und unbeweglich schien es sie zu fixieren.
Wie war er nur zu einer solchen Verletzung gekommen…grübelte sie…die offensichtlich schon einige Zeit zurück lag. Er deutete ihren Blick richtig und hob die Hand, um über die breite Narbe zu streichen.
„Ich lebe gut damit und ich habe es angenommen…“
„Ja…sicher…“ erwiderte Thora verlegen…“ich wollte nicht…dachte nur…“
Hilflos brach sie ab…
„Lassen wir das…ich bin solche Reaktionen gewohnt…“ winkte der Fremde lässig ab.
Er atmete tief ein und bewegte sich mit einigen langsamen Schritten durch den kleinen Raum auf sie zu. Als er stehen blieb, musterte er sie einige Sekunden mit dem unverletzten Auge. Dann hob er die rechte Hand, berührte leicht die stilisierte Sonne an seiner linken Schulter und neigte andeutungsweise den Kopf…
„Mein Name ist Rakoul-Var…man nennt mich auch den Sonnenjäger…“
Für einen Augenblick schwieg er, wie um seine Worte wirken zu lassen. Dann deutete er auf Thora…
„…Und du musst Thora sein…der Gast von Jagura. Da sie mit einer unvorgesehenen Mission beschäftigt ist, hat sie mich gebeten…“ dabei deutete er scherzhaft auf sein starres Auge, welches für einen Moment einen eigentümlichen rötlichen Schimmer annahm…“ein Auge auf dich zu haben…“
Thora bemühte sich, nicht ständig auf die entstellende Narbe zu sehen, die Rakoul-Var den Hauch eines verwegenen Abenteurers verlieh. Der verhaltene Stolz in seiner Stimme, als er sich vorstellte, war ihr nicht entgangen. Rakoul-Var…der Sonnenjäger…
„Was kann so wichtig sein, dass Jagura mich hier allein lässt? Keine Frage…es ist nicht das erste Mal, dass ich mich in einer ungewöhnlichen Situation befinde, aber…mal anders herum…ich mache mir Sorgen um Jaguras Verbleib. Hat sie auch dies bedacht?“
Rakoul-Var lachte kurz…
„Ich bin zu dieser ungewöhnlichen Aktion auch nur widerwillig aufgebrochen…sah aber letztendlich ein, dass es unter den gegebenen Umständen sein musste. Doch nach deinem freundlichen Empfang in dieser Wildnis fängt die Sache langsam an, mir Spaß zu machen…“
Thora musterte unsicher die hochgezogene Augenbraue über dem gesunden, jetzt vergnügt blitzenden Auge.
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Jagura…dachte sie …wo bist du nur? Warum tust du mir das an? Andromeda? Mit ihr war heute sicherlich nicht zu rechnen und auch das wusste Jagura. Jagura schien Rakoul-Vars Vertraute zu…doch woher sollte sie wissen, ob alles so stimmte, was dieser ihr erzählte? Seine Gedankenbilder konnte sie nicht erfassen…aus welchen Gründen auch immer. Wohl aber einen Hauch der Emotionen, die ihn im Augenblick beherrschten.
Und dies war in erster Linie schlicht und einfach eine unbezähmbare Neugier. Doch im Hintergrund lauerte eine unerklärliche Unruhe, die ihn zur Eile antrieb…
„Kommen wir zur Sache…entgegnete sie daher kühl. „Ich will wissen, wo Jagura ist und…“
„Genau das will ich gerade berichten…“ unterbrach sie Rakoul-Var. „Denn ich will und kann nicht länger als unbedingt nötig auf dieser Welt verweilen. Du glaubst…Jagura hat dich nicht gesehen, als du ihr folgtest, doch sie hat es.
Und trotzdem entschloss sie sich, dennoch meinem dringenden Ruf zu folgen…schon allein, weil sie weiß, dass höchste Gefahr im Verzug ist, wenn ich mich so kurzfristig und zu einer solch ungewöhnlichen Zeit melde.
Da sie ihre Absicht, unverzüglich hierher zurück zu kehren, in Anbetracht der Ereignisse nicht verwirklichen kann…dich aber auch nicht im Ungewissen lassen will… zumal du im Moment völlig auf dich allein gestellt bist…hat sie mich überzeugt, dass es besser ist, dich vorerst zu holen und in die Dinge einzubeziehen, als dich hier allein zu lassen und damit in Kauf zu nehmen, dass du letztendlich für unnötige Unruhe sorgst.“
„Holen…? Wohin…?“ fragte Thora mit erzwungener Ruhe. Sie deutete auf ihren Rucksack…
„Du siehst…ich habe vor, mich auf die Suche nach Jagura zu begeben.“
Rakoul-Var schüttelte milde lächelnd den Kopf…
„Das wird dir nicht gelingen…niemand kann den Weg gehen, den Jagura ging. Er ist ihr alleiniges Geheimnis. Schau…Thora…“
Er schlug den Umhang zurück und deutete auf eine der Gürteltaschen.
„Hier ist mein Weg zu Jagura. Und umgekehrt gibt es von dort, wo sie sich befindet, eine Verbindung hierher, die sie speziell für mich geschrieben hat. Da niemand auf dieser Welt von meiner Existenz und vor allem von meinem Wirken ahnt, benutze ich diese Verbindung nur in den äußersten Notfällen mit der entsprechenden Vorsicht.“
Mit eindringlicher Stimme fuhr er fort…
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„Doch nun geht es um die Zukunft von Andromeda…von Andorra und von allen, die hier leben. Ein Langzeitplan soll gestartet werden und er wird grausamen Erfolg haben, wenn er nicht gestoppt wird.“
Rakoul-Vars Gesichtszüge verhärteten sich bei diesen Worten und Thoras Blick wurde wieder von der leuchtenden Narbe angezogen, die von einem schrecklichen Unfall oder gar Kampf herrührte.
„Es ist der Untergrundorganisation `Dunkelstern` gelungen, die Drahtzieher dieses hinterhältigen Planes ausfindig zu machen. Nur Jagura wurde von mir eingeweiht und sie wird die Aufgabe übernehmen, Andromeda oder Andorra über alles zu unterrichten. Doch zunächst müssen wir den teuflischen Plan durchkreuzen.“
„Untergrundorganisation `Dunkelstern` …“? Interessiert forschte Thora in Rakoul-Vars grimmiger Mine.
Rakoul-Var nickte zustimmend…
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„Dies ist eine lange Geschichte…die Geschichte unseres Volkes und teilweise eine nicht sehr rühmliche. Meine Heimat ist Grumor und vor langer Zeit waren wir…die Ashanty und die heutigen Andorraner ein einheitliches Volk. Doch es gab Konflikte…“ Rakoul-Var zögerte sichtlich…“die unsere Gesellschaft spalteten und uns letztendlich zwangen, uns zu trennen.“
Thora lauschte mit angehaltenem Atem. Hatte nicht Andromeda damals bei ihrem ersten Zusammentreffen von dieser bewegten Vergangenheit ihres Volkes gesprochen?
„Die heutigen Andorraner haben sich also damals von uns getrennt, sich eine neue Heimat gesucht und im Laufe der Zeit eine Kultur aufgebaut, der wir zurzeit insbesondere im medizinischen Bereich nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben. Doch nun will eine Minderheit meines Volkes einen teuflischen Plan in die Tat umsetzen, um das Volk der Andorraner im Laufe der Zeit auszurotten, um deren Kulturerbe anzutreten. Dies wäre unter anderem auch das uralte Erbe unserer gemeinsamen Ahnen…das Erbe von Tarouma…dem Geistwesen in den Kristallen von Zoran-Dhaar.“
Rakoul-Vars gesundes Auge fixierte Thora durchdringend…und sie konnte jetzt deutlich erkennen, dass das andere Auge hinter dem vernarbten Lid künstlich war…denn wieder vermeinte sie einen rötlichen, metallisch anmutenden Schimmer in dem starren Augenhintergrund zu erkennen.
„Du siehst…Thora…ich bin hervorragend informiert. Und die Drahtzieher dieses Planes sind nun von unserer Organisation aufgespürt worden und sollen nun mit Jaguras Hilfe dingfest gemacht werden, ohne Aufsehen unter meinem Volk zu erregen. Und auch unter den Andorraners soll unnötige Unruhe vermieden werden. Doch die Zeit drängt und wir müssen rasch handeln.
Zudem ist Jagura die einzige Person auf dieser Welt, mit der unsere Organisation schon seit langem Verbindung pflegt. Denn im Gegensatz zu Andorra konnten wir sie schnell von unserer Loyalität gegenüber den Andorranern überzeugen…und so haben wir auf weitere diplomatischen Kontaktversuche in dieser Richtung verzichtet und uns fortan ausschließlich an Jagura gehalten.“
Thora sah sich in dem leeren Raum um…Jagura war nach Rakoul-Vars Aussagen mit unaufschiebbaren, in eine entscheidenden Phase getretenen Dingen beschäftigt, über die der unverhoffte Besucher sich aus Zeitgründen wohl nicht in allen Einzelheiten auslassen würde. Fest stand nur, dass Jagura nicht an diesem und wohl auch nicht am folgenden Tag zurück in ihre Klause kommen würde.
Was sollte sie tun? Hier in der Wildnis allein auf Andromeda warten, von der sie nicht genau wusste, wann diese zurückkehren würde und konnte, oder sollte sie das zweifelhafte Angebot des abenteuerlich anzusehenden Kämpfers annehmen, der angab...im Auftrag der Heilerin zu handeln und sie direkt zu deren Aufenthaltsort bringen wollte.
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Rakoul-Var hatte die Gürteltasche geöffnet und ein Verbindungsbuch hervorgezogen, dessen Einband in einem schlichten Braun gehalten war. Er schlug es auf und hielt es Thora hin…
„Der Weg ins Cantragebirge…und zu Jagura…“
Thora zögerte…konnte sie sicher sein, dass der verwegen aussehende Mann die Wahrheit gesprochen hatte? Wieder fühlte sie sich von dem rötlich glitzerndem starren Auge seziert, während das gesunde Auge sie intensiv und abwartend ansah.
Thora hob die Hand und deutete auf die auffällige Narbe…
„Darf ich fragen, woher…“
„Nein…“.kam es fast barsch zurück. Dann entspannte er sich und lächelte leicht…“noch nicht…“
Unmutig ließ Thora die Hand sinken. Seine heftige Reaktion auf ihre harmlose Frage veranlasste sie jedoch spontan zu sagen…
„Ich komme nicht mit…ich denke gar nicht daran! Ich bleibe hier…allein…“!
Rakoul-Var musterte eine Weile unschlüssig und überlegend ihr entschlossenes Gesicht. Dann zuckte er gleichgültig die Schultern.
„Na schön…wie du willst…“
Mit einem entsagungsvollen Seufzer nahm er das aufgeschlagene Buch zurück und klappte es zu.
„Dann eben nicht…ich brauche mir wegen meiner gescheiterten Mission in dieser Wildnis keine Ausrede einfallen zu lassen. Denn Jagura hat mich vorgewarnt…“
Er befestigte das Buch am Gürtel und winkte Thora spöttisch lächelnd zu, wobei die blutrote Narbe seine Gesichtshälfte in eine Grimasse verzog.
„Viel Spaß in der Wildnis und lass dich nicht von irgendwas fressen…soll ja vorkommen hier…“
Bei diesen Worten schlug er das Buch am Gürtel auf und fast betont langsam näherte sich seine Hand dem Schaubild.
`Jagura`…dachte Thora verzweifelt. `Das ist alles nicht wahr. Wie soll ich das Andromeda plausibel machen, was hier geschehen ist und was mir dieser obergescheite Gauner erzählt hat. Sie wird mir kaum glauben und nichts unversucht lassen, um dich, die Heilerin zu finden.`
Und worin bestand der Langzeitplan, der… einmal gestartet…Andromedas Volk unumkehrbar ausrotten sollte. Rakoul-Vars Geheimorganisation `Dunkelstern` und Jagura taten alles, um dieses Vorhaben zu vereiteln…und Jagura hatte keine Zeit, sich beim jetzigen Stand der Dinge auch noch Gedanken über ihren störrischen und uneinsichtigen Gast zu machen. Deshalb hatte sie sicher Rakoul-Var gebeten, sich ihrer anzunehmen, damit sie nicht unter Umständen mehrere Tage allein mit sich und ihren Gedanken ausharren musste.
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„Halt…Rakoul-Var…“ rief sie hastig…“Ich komme mit…“
Mit gemischten Gefühlen registrierte sie das zufriedene Lächeln, was die entstellende Narbe für einen Augenblick vergessen ließ. Er hatte es gewusst…dass sie letzten Endes doch mitkam und nichts anderes erwartet.
Das triumphierende Leuchten in seinem Auge entging ihr jedoch, als sie ihre Hand nach kurzem Zögern auf das Schaubild legte und sich die Umgebung langsam veränderte.
Rakoul-Var sah sich noch einmal in dem kleinen Raum um…dann berührte leicht er das Sonnensymbol an seiner Schulter und rief die neuen Daten ab. Sein künstliches Auge leuchtete kurz in dunklem Rot auf…dann erlosch das diffuse Leuchten im Auge und mit einem kurzem Auflachen folgte er Thora auf dem gleichen Weg…doch dieser Weg führte nicht zu Jagura…
Rakoul-Var hatte es geschafft…mit Jaguras Hilfe hatte er Thora den Weg in ihre ursprüngliche Heimat geebnet…
Schwarz und glitzernd rieselte der Sand durch ihre Finger...ihr Begleiter beobachtete sie gespannt...
"Laugroa..." fragte sie leise...
Rakoul-Var nickte... "Ja...du bist zu Hause...deine Freunde aus den Kindertagen erwarten dich schon...
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